Floßfahrt nach Alaska: Drei Männer, drei Bären und ein Floß
Yukon, Klondike, Dawson City, Chilcoot Trail – diese klangvollen Namen faszinieren mich seit meiner Jugend. Denn damals habe ich „Alaska-Kid“ von Jack London regelrecht verschlungen und alle Abenteuer vom heimischen Sofa hautnah miterlebt. Deswegen war mir klar, dass ich ähnliche Abenteuer irgendwann selbst erleben möchte. Vor allem der Yukon, einer der mächtigsten und größten aller nordamerikanischen Ströme, hat mich seither nicht mehr losgelassen.
Über 3000 km bahnt er sich seinen Weg durch Kanadas Nordwesten und Amerikas „Last Frontier“, der Bundesstaat Alaska, bis er sich in einem gigantischen Delta in die Beringsee ergießt. Schon damals stand für mich fest, irgendwann würde ich mich selber auf seinen Wassern, in die abenteuerliche Zeit des Goldrausches zurückbegeben. Nun war dieser Traum Wirklichkeit geworden. Eine Floßfahrt von Kanada nach Alaska – gemeinsam mit meinen Kumpels Ralf und Andre.
Floßfahren ist nichts für Weicheier
„Haltet Euch immer am rechten Ufer. Das ist euere einzige Chance“. „Was? Mit diesem Monstrum wollt ihr durch die „Five Fingers“? Mit guten Ratschlägen und Warnungen hatte man uns im Vorfeld unserer Reise reichlich bedacht. Daher waren wir zwar gewarnt, aber die Warnungen konnten uns nicht von unserem Vorhaben abhalten.
Heute ist der erste Tag unserer abenteuerlichen Floßfahrt auf dem Yukon River. „Josefine“ treibt ruhig und gemächlich mit der Strömung. Es kommt uns vor, als würden wir über das Wasser schweben. Es ist windstill und warm. Nichts scheint diese Idylle zu trüben. Unser Floß sollte unsere treue Gefährtin auf dem Weg nach Alaska sein, deswegen hatten wir es auf den Namen „Josefine“ getauft.
Als wir so vor uns hintreiben, deutete so gar nichts darauf hin, dass wir uns kurz vor den berühmt-berüchtigten „Five-Finger-Rapids“ Stromschnellen befinden. Schließlich waren die in früheren Zeiten, als noch Dampfschiffe auf dem Yukon unterwegs waren, gefürchtet. Inzwischen hat das natürlich keine Bedeutung mehr. Weil Josefine aber mindestens so klobig und ungelenk wie ein Dampfschiff ist, haben wir vor den Five-Finger-Rapids ehrlichen Respekt.
Mit einigen kräftigen Ruderschlägen halten wir Josefine auf Kurs, da der Fluss hier eine langgezogene Rechtskurve macht und wir in Kurven automatisch nach außen treiben. Uns präsentiert sich eine perfekte Abenteuer-Szenerie. Die Sonne strahlt von einem wolkenlosen Himmel. Die Luft ist erfüllt von Vogelgezwitscher. Der Yukon fließt ruhig und träge dahin. Und doch ist es eine trügerische Idylle, denn irgendwo hinter der nächsten Flussbiegung lauern sie, die Five-Finger-Rapids.
Dennoch, so richtig genießen können wir daher die Idylle nicht. Denn trotz unsere sorgfältigen Planung, können wir nicht so richtig einschätzen, was uns erwartet. Sicherheitshalber legen wir unsere Schwimmwesten an.
Wir sind gespannt wie ein Flitzebogen, weil wir dir Rapids endlich sehen wollen. Dann ist es soweit. Wirklich beeindruckend ragen die Felstürme in den Himmel. Dazwischen tosendes und schäumendes Wasser. „Da sollen wird durch?“, stöhnt Andre. „Klar, das schaffen wir. Wäre doch gelacht“, antwortete Ralf, unser Berufsoptimist vom Heck des Floßes. „Denn der recht Kanal sieht es gar nicht so schlimm aus. Da kommen wir schon irgendwie durch“.
Alles Kinderkram! Wie wir die Stromschnellen besiegen
Für Kanuten stellen die Five-Finger-Rapids heute kein Problem mehr dar. Allerdings mit einem zweitonnenschweren Floss, welches nur von Tauen und ein paar genagelten Brettern zusammengehalten wird, sieht die Sache schon anders aus. Auch deshalb, weil ein Floss auf kurze Distanz nur schwer seitlich zu manövrieren ist.
Sollten wir einen der Felstürme rammen, so wäre das das frühe Aus für unsere Tour. Bis jetzt haben wir keinen Grund zur Sorgen, denn wir liegen gut auf Kurs. Nach anfänglichen Problemen haben Ralf und ich die Steuerung unserer Josefine ganz gut im Griff.
Die Strömung wird schneller und lässt auch uns schneller
werden. Die Five Finger Rapids rasen jetzt förmlich auf uns zu. Von einer
kleinen Plattform weit oberhalb am rechten Ufer, beobachten uns ein paar
Touristen. Die Kameras schussbereit in der Hand. Für die ist das natürlich ein
besonderes Spektakel und eine gute Chance auf ein „Big Picture“.
Das Rauschen der Rapids verwandelt sich jetzt in ein donnerndes Getöse. Uns ist mächtig mulmig zu mute. Wie von Geisterhand werden wir von einem starken Sog erfasst. Können überhaupt nichts mehr ausrichten. Völlig hilflos sind wir den Rapids jetzt ausgeliefert. Der Sog katapultiert uns regelrecht durch die Rapids. Dadurch macht Josefine eine 180-Grad-Drehung und komplette Deck wird von den tosenden Wassermassen überflutet. Bevor wie das alles so richtig registrieren, ist es auch schon vorbei.
Als sei nichts
gewesen, treiben wir wieder gemütlich dahin. Schlagartig löst sich unsere
Anspannung und weicht einer regelrechten Euphorie. Wir hatten unsere erste
echte Bewährungsprobe geschafft. “Pah,
das soll‘s gewesen sein? War doch Kinderkram!“ Unsere Überheblichkeit kennt
keine Grenzen! „Jungs, was haltet ihr von
einem Tee mit Rum zur Belohnung?“ Unser Smutje Andre weiß genau, was seine
Mannschaft jetzt braucht.
Ralf und ich hatten Andre bereits vor Beginn der Reise ganz
undemokratisch zum „Smutje“ bestimmt. Nach anfänglichem Murren ging dieser mit
der Zeit richtig in seiner Rolle auf. Täglich überrascht er uns mit neuen kulinarischen
Ideen und zaubert aus wenigen Zutaten das herrlichste Dinner. Besonders an den Tagen,
wo sich alles gegen uns verschworen hat, ist das Balsam für unsere geschundenen
Floßfahrerseelen.
Allmählich tauchen wir immer tiefer in unser Floßabenteuer ein. Wir genießen die wilde Landschaft, die an uns vorbeizieht. Unser Tagesablauf wird immer mehr zur Routine. Unser kleines Team funktioniert perfekt wie eine Crew, die schon lange gemeinsam auf einem Schiff unterwegs ist. Aufgaben werden ohne große Worte verteilt und ohne Murren erledigt. Auch Josefine wird uns immer vertrauter. Schließlich ist sie unser Basecamp und Zuhause für einen Zeitraum von 6 Wochen. Vertrauter wird sie uns auch deshalb, weil wir lernen, ihr Verhalten und die Wirkung unserer Rudermanöver besser einzuschätzen.
Echte Kerle brauchen echte Abenteuer – Wie alles begann
In diesen ersten Tagen konnten wir noch nicht ahnen, wie
viele unglaubliche Abenteuer die nächsten beiden Monate für uns bereithalten
sollten. Inklusive einer spannenden Bärenstory, die sich viele
Abenteuerhungrige wünschen. Wir hatten Sie.
Schon die Anreise verlief abenteuerlich. Nach dem wir zwei Tag bei Andres Onkel in Vancouver verbracht hatten, flogen wir nach Whitehorse. Die kurze Zeit dort ist gefüllt mit wichtigen Besorgungen. Wir kaufen dort weitere wichtige Ausrüstungsgegenstände wie Axt, Säge, Gummistiefel, Messer und versorgten uns mit jede Menge Proviant. Natürlich durfte auch ein ausreichender Vorrat an Bier nicht fehlen.
Leider hatte die in meinem Rucksack mitgereiste Flasche „österreichischer Stroh Rum“ (gedacht, um den Tee am abendlichen Lagerfeuer etwas aufzupäppeln) die Anreise im Flieger nicht unbeschadet überstanden. So konnte ich am Gepäckband im Airport in Vancouver, nur noch einen triefenden und fürchterlich nach Rum stinkenden Rucksack in Empfang nehmen. Daher würde ich unterwegs auf Ralfs und Andres Großzügigkeit angewiesen sein.
Als wir alle Besorgungen erledigt hatten standen wir etwas nördlich von Whitehores mit einem riesigen Berg Gepäck am Highway nach Carmacks. Dem Startpunkt der Floßfahrt. Die wenigen Autos, die vorbeikamen, machten keine Anstalten anzuhalten. Eigentlich kein Wunder, denn wer mag schon drei verwegen dreinschauende junge Männer mit jede Menge Gepäck inkl. Axt und Säge mitnehmen. Vertrauenserweckend sahen wir bestimmt nicht aus.
Wir beschlossen, Ralf erstmal alleine trampen zu lassen. Der hatte dann auch schnelle Glück. Weil der Fahrer aber nur noch Platz für eine Person und einen Teil unseres Gepäcks hatte, blieben Andre und ich zurück. Mit uns das Ausrüstungs-Zelt, in welchem wir dann auch die Nacht verbrachten. Am nächsten Tag, als Andre den Daumen in den Wind hielte, stoppte eine junge Frau. Diese wollte - aus verständlichen Sicherheitsgründen - nur einen von uns beiden mitnehmen. Daher überließ ich Andre den Vortritt. Seiner Meinung nach war ich ja schließlich der Rucksackreise-Profi und hatte außerdem die besseren Englischkenntnisse. Diesen seinen Argumenten hatte ich nichts entgegenzusetzen. Es war aber auch ok für mich.
Somit verbrachte ich ein zweite Nacht, dieses Mal ganz alleine neben dem Highway. Irgendwie schien mir das Mitfahrerglück nicht Hold zu sein. Ich wollte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als sich doch noch jemand meiner erbarmte und mich bis nach Carmacks mitnahm.
In Carmacks angekommen, keine Spur von Andre und Ralf. Weil es schon spät war, musste ich mich schleunigst um eine Übernachtungsmöglichkeit kümmern. Die ergab sich dann fast von alleine, als ich mir im Pub ein Bier gönnte und zwei Deutsche, die unterwegs nach Dawson City waren, kennenlernte.
Am nächsten Morgen traf ich dann auch auf Ralf und Andre. Die beiden hatten in der Zwischenzeit einen geeigneten Platz zum Bau des Floßes gefunden.
Floßbau kann ganz schön anstrengend sein
Dieser lag ca. 5km südlich von Carmacks. Es handelte sich um eine kleine Lichtung, nicht weit vom Ufer des Yukon. Der Platz an sich war zwar ok, aber wie sich schon bald herausstellte, fanden wir in unmittelbarer Näher keine brauchbaren Baumstämme für unser Floß.
Dafür eignen sich am ehesten Bäume, die erst kürzlich abgestorben sind. Im Vergleich zu lebenden Bäumen, enthalten die nämlich bereits viel weniger Restfeuchte. Sie sind deswegen leichter und geben mehr Auftrieb. Wichtig ist, dass sie vom Holz her noch intakt und nicht bereits am verrotten sind.
Leider fanden wir davon in der Nähe des Ufers nur zwei Exemplare. Etwas besser sah es tiefer im Wald aus. Aber wirklich reichhaltig war das Angebot auch dort nicht. Folglich musste auch der ein oder andere noch lebende Baum dran glauben. Und zwar wie die Holzfäller in früheren Zeit, nur mit der Axt.
Für uns bedeutete das jetzt „richtig harte Arbeit“. Wie sollten wir die wuchtigen Stämme tief im Wald bis zum Ufer bekommen? Wir hatten ja für den Transport keinerlei Hilfsmittel. Kreativität war gefragt. Und Ralf, als Experte für die Konstruktion von Freizeitparkgeräten, hatte schnell eine perfekte Lösung parat. Ein Rollensystem aus kurzen Baumstämmen musste her. So genial die Idee auch war, für uns bedeutete sie die reinste Schinderei. Obwohl wir Abends völlig platt waren, saßen wir noch eine ganze Weile zusammen am Lagerfeuer und genossen unser Feierabendbier. Lagerfeueridylle pur
Nach einem besonders harten Arbeitstag, stand uns der Sinn nach einer feucht-fröhlichen Abwechslung. Als Belohnung sozusagen. Somit beschlossen wir, den Tag im Pub von Carmacks ausklingen zu lassen. Deshalb machten wir uns zu Fuß auf den Weg. Wie nicht anders zu erwarten, schmeckte das Biereinfach köstlich. Der Barmann, eine richtig „coole Socke“, meinte: „You’re germans, you’re born to drink beer“. Dieser Satz wurde für den Rest unserer Reise so etwas wie unser Leitmotiv!
Eigentlich hatten wir genug und wollten uns auf den Nachhauseweg machen, doch nebenan war eine Karaoke-Party der Nativ Nations in vollem Gange. Daher entschieden wir spontan, dort den Abschluss des Tages zu machen. Wir waren die einzigen „Weißen“ und das reichte offensichtlich aus, um schnell im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen. Ich kannte das von meinen ausgedehnten Reisen in die Südsee. Besonders Andre, mit seinem langen Buck-Messer am Gürtel, um das er ein Seil geschlungen hatte, weckte die Bewunderung der weiblichen Natives. Für sie war er der „Mountain Climber“, was sie offensichtlich sehr beeindruckte. Wir hatten viel Spaß und bei Karaoke und reichlich Bier war die Stimmung ausgelassen. Karaoke mit betrunkenen Indianern muss man echt mal erlebt haben! Weil aber mit steigendem Alkoholpegel die Stimmung unter den Natives aggressiver wurde, entschlossen wir uns zum Rückzug und marschierten die 5 Kilometer zurück zum Camp.
Andre beim Stämme zusammenbindenDas Gerüst für die Hütte entsteht
Bärenalarm im Camp
Im Camp angekommen, stellten wir entsetzt fest: Wir hatten
vergessen, unsere beiden zentnerschweren Proviantsäcke bärensicher in einen
Baum zu hängen. Dies taten wir für gewöhnlich am Abend. Bärensicher bedeutete
mindestens drei Meter hoch.
Wir hatten unverschämtes Glück, denn unser Proviant war noch unversehrt. Vielleicht hatte Ralfs Fahrer ja doch recht mit seiner Behauptung "er habe seit 20 Jahren hier keinen Bären mehr gesehen."
Weil wir müde und auch reichlich angetrunken waren, hatten wir keine rechte Lust darauf, die Säcke noch ganz in die Höhe zu ziehen. Deshalb begnügten wir uns damit, diese auf gute Kopfhöhe zu ziehen und befestigten die Seile am Stamm.
Diese Nachlässigkeit sollte sich rächen!
Am frühen Morgen – es dämmerte bereits - wurden wir von
einem kratzenden Geräusch und einem tiefen Schnauben geweckt. „Jungs, da ist jemand“, klang es
verschlafen aus Andres Schlafsack. Dieser drehte sich mit seinem Schlafsack zum
Zelteingang, öffnete den Reißverschluss und steckte den Kopf raus. Als er sich
wieder zu uns drehte, stand ihm der Schrecken förmlich im Gesicht. „Draußen ist ein Bär“! Ich war sofort hellwach,
aber Ralfs Sinne schienen noch vom Restalkohol völlig benebelt, denn aus seinem
Schlafsack kam murmelnd „Der geht auch
wieder“.
Doch dann wurden auch er schlagartig wach und registriert
was los war: „Das gibt’s doch nicht“!
Abermals blickte Andre aus dem Zelt: „Jetzt
sind es schon drei und die machen sich gerade über unsere Proviantsäcke her“.
Nun wollte auch ich sehen, was da draußen gerade passiert. Was ich sah, war
beängstigend und faszinierend zugleich. Eine Bärenmutter stand auf den
Hinterläufen und schlug mit den Tatzen heftig gegen unsere Proviantsäcke. Ihre
beiden Jungtiere standen neben ihr und sahen staunend zu. Als die Packsäcke
schließlich runterfielen, zog unser Bärenbesuch diese mit vereinten Kräften ein
Stück in den Wald hinein.
Doch scheinbar waren die drei Bären genauso überrascht wie wir, denn sie zogen sich tiefer in den Wald zurück. Wir trauten uns endlich aus dem Zelt.
Wie wir tagelang von 3 Bären belagert werden
Was sind wir nur für
„Greenhörner“, dachte ich. Jetzt erst sahen wir das ganze Ausmaß der
Bescherung. Unsere Proviantsäcke, oder vielmehr was davon übriggeblieben war,
fanden wir ca. 30 Meter vom Camp entfernt im Wald.
Wir nutzten die Abwesenheit der Bären und versuchten vom
Proviant zu retten, was zu retten war. Doch das war nicht viel. Der Großteil
unseres Proviants war unbrauchbar geworden. Unser Speck- und
Schokoladenvorrat war gänzlich verschwunden. Nudeln, Reis, Haferflocken,
Bohnen und Cornflakes lagen auf dem Waldboden verstreut.
In den nächsten Tagen lernten wir mit den Bären in unserer
unmittelbaren Nachbarschaft zu leben, denn die wussten nun, wo es was zu holen
gab und verloren jegliche Scheu. Einmal kam es sogar vor, dass die Bärenmutter
direkt vor unserem Zelt stand und neugierig daran schnupperte.
Bären im Camp
Durch diese permanente räumliche Nähe zu unseren Belagerern,
verloren wir allmählich den Respekt vor ihnen. Sie wurden uns richtig lästig.
Auf Hausbären hatten wir nun wirklich keine Lust. Wir schlugen mit Werkzeugen
gegen unser Kochgeschirr, um sie durch den Lärm zu vertreiben. Als das nicht
half warfen wir sogar mit Steinen nach ihnen. Damit erreichten wir nur, dass
die Bären den nächstbesten Baum hochkletterten und dort eine Weile ausharten
und dann wieder hinabstiegen und uns vom Boden aus beobachteten. Was wir auch
taten, wir wurden sie nicht los. Es war uns mittlerweile sogar egal, wenn wir
mit dem Floßbau beschäftigt waren und uns in fünf Meter Entfernung ein Bär
dabei zuschaute. Nur durften wir niemals zwischen die Mutter und ihre zwei
Jungen kommen!
Einmal - Ralf und ich waren gerade dabei, die Stämme des
Floßes zusammenzubinden - stand die Bärin höchsten zwei Meter hinter Ralf. Der stand
in gebückter Haltung und war gerade dabei einen Knoten zu verschweißen. Sein
Hintern streckte er so genau in die Richtung, wo die Bärin stand. Und diese schnupperte
mit ihrer Nase genau in Richtung von Ralfs Allerwertesten. Es war ein Bild für
die Götter. Hätte ich damals ein Handy
griffbereit gehabt, das Foto würde heute „viral gehen“, wie man im digitalen
Zeitalter sagt.
Ich zu Ralf: Ralf,
hinter dir steht ein Bär“ Worauf er mich anschaut und nur meint: „Scheiße“. Als wäre das das Kommando für
den Rückzug, witterte die Bärin nochmal in Ralfs Richtung, drehte sich dann um
und trottete davon.
Einfach unglaublich. Solche Erlebnisse lassen sich mit Worten
nicht wirklich beschreiben.
So lebten wir also in mehr oder weniger friedlichen Koexistenz mit unseren drei Bären. Aber offengesagt, immer mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. So waren wir dann doch froh, als Josefine endlich soweit fertig war, dass wir unsere abenteuerliche Floßfahrt beginnen konnten. Wir sagten unseren Bärenfreunden „Lebe wohl“ und legten voll freudiger Erwartung vom Ufer ab.
Müßiggang, Luxus und Bordroutine
Das war jetzt gut eine Woche her. Heute stehen unsere
zweiten Stromschnellen, die Rink Rapids, auf dem Programm. Diese können uns jedoch
in keinster Weise mehr beeindrucken. Schließlich fühlen wir uns jetzt als
erfahrene Floßfahrer.
Heute ist wieder ein wunderbar warmer, ja fast heißer Tag. Blauer
Himmel und absolute Windstille. An solchen Tagen wird Josefine zu unserer Relax-Oase.
Ralf hat sich auf dem Seitendeck lang gemacht und döst mit blankem,
sonnengebräuntem Oberkörper vor sich hin. Andre lümmelt sich auf dem Küchendeck,
direkt neben unsere Kochstelle und ich habe es mir auf der selbstgebauten
Klappbank, unter der wir unseren Vorratsraum eingerichtet haben, gemütlich gemacht.
Müßiggang pur!
Als Kochstelle dient uns eine kleine Öltonne, die wir zu
Beginn unserer Reise am Ufer gefunden und die wir zum Ofen umfunktioniert
haben.
Mittlerweile ist unsere Josefine immer luxuriöser
ausgestattet. Am Ufer des Yukon finden wir immer wieder nützliche Dinge, die
unser Leben an Bord komfortabler machen. So zum Beispiel ein altes, halbverfallenes
Klohäuschen. Dessen Bretter waren perfekt sich ideal für die Erweiterung des Deckbereichs.
Zudem fertigten wir daraus ein Hängeregal. Alles an Board hat seinen festen
Platz und ist in wenigen Sekunden griffbereit. Das erleichtert das Floßfahrerleben
ungemein.
Die Tage fließen dahin. Doch Langeweile empfinden wir nie. Wir
genießen das lautlose Dahintreiben in dieser einzigartigen Naturkulisse. Wir
erzählen uns Schwänke aus unserem Leben, lästern über die Daheimgebliebenen,
schmökeren in Romanen, während wir uns immer tiefer in die Wildnis des Yukon
Territoriums treiben lassen.
Wir fühlen uns unendlich frei, aber auch unheimlich prädestiniert, ein solches Abenteuer erleben zu dürfen.
Der größte Alptraum eines Floßfahrers wird wahr
Heute hat der Wind aus Nordost hatte merklich aufgefrischt
und mit dem süßen Nichtstun ist es erstmal vorbei. Wir haben ein echtes Problem:
Der Wind. Denn der drückt unser Floß ständig ans Ufer. Und dass, obwohl wir
zwischenzeitlich einige bauliche Veränderungen an der Hütte vorgenommen haben. Als
Regenschutz hatten wir die Hütte mit festen Seitenplanen versehen. Dadurch aber
war Josefine selbst wenn nur ein laues Lüftchen wehte, sehr windanfällig. Das
Problem konnten wir dadurch lösen, dass wir am Ende der Planen jeweils ein
Brett befestigt haben. So konnten wir je nach Bedarf die Plane herunterlassen
oder nach oben aufrollen. Josefine bot so dem Wind viel weniger Angriffsfläche.
Leider nutzt das bei den jetzigen Windstärken nichts mehr. Die
bloßen Floßaufbauten wie Hütte und Ruderanlagen und unser Gepäck reichen aus,
um das Floß windanfällig zu machen. Ständig treiben wir Richtung Ufer. Durch
Rudern versuchen wir immer wieder der seitlichen Drift entgegenzuwirken. Aber,
alles Rudern hilft nichts. Für den Leser sei angemerkt, dass die Ruder eines
Floßes nur zur seitlichen Steuerung dienen, nicht als Antrieb, wie beim
Ruderboot.
Eine umgestürzte Fichte, die einige Meter über den Fluss
ragt, rasiert fast unsere Hütte weg. Ihre Spitze streift die Hütte so, dass das
Floß fast gestoppt wird. „Gleich fliegt
uns die Hütte um die Ohren!“ denke ich. Doch sie hält der Belastung stand.
Dadurch, dass sich die Fichte sehr weit biegt, wird die Hütte vom Druck
entlastet und hält diesem stand.
Gerade nochmal gutgegangen. Doch größeres Unheil folgt auf
dem Fuß.
Wieder einmal drückt uns der Wind in einen der vielen
seichten Seitenarme. Obwohl wir bis zur Erschöpfung rudern, gelingt es uns
nicht, das Floss im Hauptarm zu halten. Wir schrammen mehrmals heftig über den
steinigen Boden. Grundberührung! Der Alptraum eines Floßfahrers! Unsere arme
Josefine! Hoffentlich halten die
Seilverbindungen. Mit Abstoßstangen versuchen wir das Floß seitlich
wegzustoßen und wieder in tieferes Wasser zu gelangen. Mit den Rudern können
wir hier nichts mehr ausrichten.
Wir nehmen wieder Fahrt auf, allerdings mit dem Resultat, dass wir jetzt genau auf ein Gewirr aus Ästen und gestrandeten Bäumen zutreiben. Diese versperren uns sozusagen den einzigen Weg raus aus dem seichten Flussarm. Eines der Ruder verheddert sich derart in diesem Gewirr, dass die Ruderstütze unter dem enormen Druck zu brechen droht. „So ein Mist, das hält das Ruder niemals aus“ ruft Andre fast panisch.
Geistesgegenwärtig lässt Ralf die Abstoßstange fallen
und schnappte sich die Axt. Mit mehreren gezielten Hieben schlägt er die Äste des
Baumes ab. Ich greife mir eine der Abstoßstangen und versuche, das Floß von der
Gefahrenstelle wegzustoßen. Dabei reiße ich mir an einem Ast den Finger auf. Er
blutet stark. Aber das ist jetzt egal. Wir müssen nur irgendwie hier rauskommen.
Ralfs Axthiebe zeigen Wirkung. Josefine nimmt wieder Fahrt auf und holpert über den Grund. Bedrohlich reiben die wuchtigen Stämme am Flussgrund. Doch die Tauverbindungen halten der enormen Belastung stand. Endlich erreichen wir wieder tieferes Wasser. Wir sind fix und fertig, aber unendlich erleichtert.
So viel Glück kann man doch nicht haben
Die Strömung schiebt unser Floß zurück in den Hauptarm des
Yukon. „Wieder mal Schwein gehabt Jungs“,
spricht Ralf das aus, was wir alle denken. Ich bin besorgt. Soll das jetzt so
weitergehen? Sind die sorglosen Tage an Board vorbei? Die Stimmung bei allen
ist merklich gedrückt. Obwohl unsere Reise zunächst weitergeht, frage ich mich,
ob wir auch weiterhin so viel Glück haben werden.
Die Aktion heute hat nicht nur viel Kraft gekostet, sondern wir
haben auch einiges an Zeit verloren. Wir beschließen daher, heute bis in die
Dämmerung hineinzufahren. Gegen Abend lässt der Wind nach. Die Oberfläche des
Yukon ist jetzt spiegelglatt. Deutlich zeichnet sich der Mond darin ab. deutlich
darin. Die Landschaft ist in ein bizarres Licht getaucht.
Deutlich und überdimensioniert zeichnen sich vor dem dunklen
Blau des Himmels die Konturen der Bäume ab, die hier dicht an dicht das Ufer
säumen. Das Ganze wirkt irgendwie surreal, aber total faszinierend. Wir sind unfähig
irgendetwas zu tun. Können nur staunen und genießen. Ein wahrer Traum – und wir
mitten drin! Unser geplanter Stopp für die Nacht – Fort Selkirk – können wir
nur erahnen. Fernes Hundegebell kündigt an, dass es nicht mehr fern sein kann.
Der Mond versteckt sich nun gänzlich hinter dichten Wolken.
Trotz völliger Dunkelheit, gelingt uns eine Punktlandung genau auf Höhe von
Fort Selkirk. In einer halbverfallenen Hütte machten wir es uns gemütlich für
die Nacht.
Den ganzen nächsten Tag verbringen wir in Fort Selkirk auf Erkundungstour. Fort Selkirk ist eine ehemaligen Handelsstation und hatte in früheren Jahren große Bedeutung als Versorgungsstützpunkt für die Flussfahrer. Viele Relikte aus jener Zeit, sind heute noch zu sehen.
Der absolute Super-Gau: Nichts geht mehr
Wieder unterwegs auf dem Fluss. So schön der Tag auch begann,
der Abend sollte erneut zu einer Belastungsprobe für Mensch und Material
werden. Denn Josefine droht zum
wiederholten Male in einen seichten Seitenarm zu driften.
Wir sind alle so vertieft in unsere Lektüren, dass wir davon
zunächst nichts mitbekommen haben. Bis uns Ralfs Ausruf: „Alle Mann an die
Ruder, da vorne wird’s eng“ uns jäh in die Wirklichkeit zurückbringt. Wir
rudern was unsere Muskeln hergeben. Aber der Effekt ist gleich null. Keinen
Millimeter scheint sich Josefine in die gewollte Richtung zu bewegen.
Es steht jetzt auf Messers Schneide, für welchen Teil des
Yukon sich Josefine entscheiden wird. Unsere Anspannung lässt sich förmlich
greifen. Entscheidet sich Josefine für links, dann sehen wir verdammt alt aus.
Denn soweit wir den Seitenarm überblicken können, ist der mit Sandbänken und
Felsblöcken durchsetzt. Fast macht es den Anschein, als wäre Josefine für uns.
Wir wähnen uns schon in Sicherheit, als Josefine im letzten Moment einen Schwenk nach links macht. Und Schwupps, sind wir drin - im falschen Seitenarm. „Schöne Scheiße! Nichts mit dem gemütlichen Abend“! Und wieder einmal rumpelt unser Floß über den steinigen Grund. Es ächzt und krächzt. Dann stehen wir still.
Ein hoffnungsloser
Rettungsversuch
Und schon wieder sitzen wir fest! Und zwar so richtig.
Josefine liegt wie zementiert im Yukon. Links und rechts und zwischen den
Stämmen strömt das Wasser. Was tun? Ralf und Andre machen sich zu Fuß auf den
Weg, um nach einer möglichen Durchfahrt zu suchen. Ich bleibe auf dem Floß
zurück, also Bordwache sozusagen. Im Sand des Ufers kann ich trotz der
Entfernung deutlich die frischen Spuren eines Grizzlys erkennen. Mir ist mulmig
zu Mute: „Hoffentlich hat Kollege Bär
schon zu Abend gegessen!"
Mit mir bleiben auch unsere gesamten Vorräte auf dem Floß
zurück. Und wie sehr Bären darauf abfahren haben wir ja leidlich während der
Bauphase unseres Floßes erleben müssen.
Andre schiebt von hinten am Ruderaufbau
Als die beiden endlich zurückkommen, versuchen wir das Floß
mit unseren Abstoßstangen zu bewegen. Doch es rührt sich nicht. Statt Abstoßen
versuchen wir es mit Hebeln. Dazu stecken wir die Stangen unter das Floß und
drückten sie dann nach vorne. Andre schiebt zusätzlich von hinten kräftig nach.
Oh Wunder, Josefine ruckelt etwas. Davon angespornt hebeln wir mit voller Kraft
weiter. Es gelingt uns so, das Floß Stück für Stück zu bewegen. Echt mühsam,
aber es funktionierte. So geht es eine ganze Weile weiter, bis endlich das Ende
des Seitenarms in Sicht kommt. Wir erreichen tieferes Wasser und Josefine nimmt
wieder Fahrt auf.
Schnell springen wir aufs Floß, völlig ausgepumpt aber
glücklich, es geschafft zu haben. Die Stiefel voller Wasser und die Hosen nass
bis zu den Oberschenkeln. Doch das ist uns egal. Hauptsache, wir fahren wieder.
In der Dämmerung machen wir die Silhouette einer Insel aus. Erst nach mehreren
Versuchen gelingt die Landung. Andre springt mit dem Anlegeseil an Land und
versucht die Fahrt des Floßes zu stoppen. Das gelingt erst, als ich ihm mit dem
zweiten Seil zur Hilfe komme.
Für heute haben wir die Nase gestrichen voll und beschlossen anzulegen und unser Camp aufzubauen. Während Ralf und ich das Zelt aufbauen und einrichten, kümmert sich Andre um das Abendessen. Heute haben wir uns auf jeden Fall eine Belohnung verdient. Da sind wir alle einer Meinung. Bei Kartoffeln, Eiern, Speck und dem abendlichen Bier am Lagerfeuer sind wir wieder mit Josefine und dem Yukon versöhnt.
Silberfuchs und Grauente - eine außergewöhnliche Begegnung
Die nächsten Tage verlaufen ohne besondere Vorkommnisse. Wir
haben zu dieser späten Jahreszeit Mitte September keinen Flussfahrer
angetroffen. Heute sollte sich das ändern. In der Ferne nähert sich ein Kanu
mit zwei Personen. Diese halten jetzt auf uns zu. Natürlich sind wir mächtig
neugierig, wer so spät im Jahr noch auf dem Fluss unterwegs ist. Als das Kanu
backbord am Floß anlegt, stellen sich die beiden als „Silberfuchs“ und
„Grauente“ vor. Ein deutsches Ehepaar aus Krefeld, das in den 60er Jahren ins Yukon
Territorium ausgewandert ist.
Erfrischend, mit welcher Begeisterung die beiden – nicht
mehr wirklich jung an Jahren – von Ihrem Leben in der Weite Kanadas erzählten.
So etwas bewundere. Solche Menschen haben wirklich etwas zu erzählen. Sind aber
oft eher bescheiden, ganz im Gegensatz zu dem Selbstinszenierungsgetöse der
heutigen Digitalgesellschaft.
Auch die nächsten Tage passiert nichts Besonderes. Dass wir uns des Öfteren im Uferbereich verheddern, auf einer Sandbank festsitzen oder im Kehrwasser rückwärtsfahren, ist für uns nichts Besonderes mehr. Alltag eines Floßfahrers eben!
Dawson City – Dusche, Bier und Glücksspiel
Als die Mündung des Stewart River und des White River hinter
uns liegen, wissen wir: Dawson City, die legendäre Goldgräberstadt, ist nur
noch wenige Tagesetappen entfernt. Wir sind voller Vorfreude auf die
Abwechslung, die uns dort erwartet. Dawson City soll für uns Kontrastprogramm
zu dem meist ruhigen Flussleben sein. Zudem können wir dort endlich unsere
Biervorräte auffüllen. Diese gehen langsam zur Neige.
Ich kann jetzt gut nachempfinden, wie sich seinerzeit die
Goldgräber gefühlt haben müssen, als sie nach einer langen, beschwerlichen
Anreise Dawson City erreichten.
Dass wir uns Dawson näheren, merken wir auch daran, dass
unser kleiner Weltempfänger endlich wieder einen Radiosender empfängt. Zu Ralfs
Leidwesen handelt es dabei um einen reinen Klassik-Sender. Andre und mir ist
das egal. Wir fühlen uns von Symphonien und Ouvertüren regelrecht beflügelt.
Dawson City muss ganz nah sein.
Bald tauchen in der Ferne die ersten Häuser auf. Sie wirken
wie bunte Legosteine. Dawson City bedeutet für uns Sightseeing, gutes Essen,
jede Menge Bier, Glücksspiel im „Diamond Tooth Gerties“, dem nördlichsten
Spielcasino der Welt, obligatorischer Anruf nach Hause, Wäschewaschen und
natürlich eine ausgiebige Dusche.
Ohne Frage, wir genießen die Zivilisation in vollen Zügen. Aber nach zwei Tagen reicht es uns. Der Kontrast zu der Einsamkeit auf dem Fluss ist wohl doch zu groß. Obwohl Dawson City noch immer etwas von der Faszination längst vergangener Zeiten hat, zieht es uns zurück auf den Fluss.
Auf nach Alaska – von Indianern und Lachsen
Vor uns liegen noch ca. 300 km Einsamkeit bis nach Eagle,
dem nächsten Vorposten der Zivilisation. Eagle liegt bereits in Alaska. Also
müssen wir dort offiziell einreisen. An
den äußeren Enden von Flussbiegungen begegnen uns jetzt Immer häufiger
Fischräder, mit denen Einheimische Lachse fangen. Auch treffen wir jetzt öfter
auf kleine Fisch-Camps mit Trockengerüsten. Auf diesen hängen hunderte, in Streifen
geschnittene Lachse, zum Trocknen.
In der Nähe der Mündung des Twenty-Mile-Rivers schlagen wir
unser Lager auf. Als ich gerade damit beschäftigt bin, ein Feuer zu bauen, nähert
sich in rasantem Tempo ein Motorboot. Mit elegantem Schwung bringt der Fahrer
das Boot kurz vor dem Ufer zum Stehen. „Do you Guys wonna have some fish?“ ruft uns
der Native im Boot zu. „Sure“ erwidern wir fast gleichzeitig. Flugs wechseln
ein mindestens 80cm großer Lachs und ein Six-Pack Budweiser den Besitzer. Wir
bekommen den Lachs und unser indianischer Wohltäter das Bier. So geht ein
schneller Handel in der Wildnis.
Der unerwartete Zuwachs unserer Vorräte freut uns riesig.
Spontan laden wir unseren Besucher zum Essen ein. Doch der hat leider noch jede
Menge zu tun, wie er uns erzählt. Eine Reihe von Fischrädern müssen noch vor
Einbruch der Dunkelheit kontrolliert werden. Mit aufheulendem Motor brauste
unser Kurzbesuch auf und davon.
Hätten wir gewusst, dass wir in Eagle unsere Biervorräte
nicht würden auffüllen können, wir hätten uns auf diesen Deal
höchstwahrscheinlich nicht eingelassen.
Bald ist nur noch das leise Motorengeräusch in der Ferne zu
vernehmen. Dann umgibt uns wieder völlige Stille. Der Lachs reicht für die
nächsten Tage. Lachs zum Frühstück, Lachs zum Abendessen – wir speisen wie die
Fürsten und sind im Lachsrausch!
Sorge bereitet uns jedoch die Tatsache, dass unser
Lachs auch für Bären ein kulinarischer Hochgenuss darstellt. Und von hungrigen Bären
haben wir wirklich genug. Weil uns keine bessere Lösung einfällt, packen wir
den Fisch in einen großen Müllbeutel und befestigen diesen unter dem Floß. Ob
das Meister Petz abhalten wird, ist mehr als fraglich!
Die Landschaft am Yukon hat sich in den letzten Tagen
merklich verändert. Wir haben bereits Mitte September und der Indian Summer mit
seiner Farbenpracht neigt sich dem Ende zu. Die Tage und besonders die Nächte werden
allmählich kühler. Alaska ist nun nicht mehr fern.
Auch die Landschaft verändert sich merklich. Der Fluss ist jetzt mehr von steilen Felsen und Höhenzügen umgeben. Immer wieder nutzen wir die Gelegenheit zu ausgedehnten Tagesexkursionen auf die Höhen rechts und links des Flusses. Einzigartige Ausblicke belohnen uns für die Mühen des Aufstiegs.
Grandiose Aussicht auf den Yukon River
Das endgültige Aus?
Bis Eagle ist es nicht mehr weit. Doch der Yukon hat noch
ein paar heftige Überraschungen für uns parat. Wieder einmal sitzen wir fest.
Eigentlich haben wir uns schon fast daran gewöhnt. Aber schnell merken wir,
dass es diesmal besonders ernst ist. Wie Blei liegt das Floß im seichten Wasser
auf Sand. Andre beschreibt die Ausweglosigkeit der Situation treffend mit den
Worten „Jungs...das war’s...die Reise ist
zu Ende“. Sollte das jetzt hier das definitive Aus sein? Irgendwann musste
es ja mal so kommen. Schließlich sollte man sein Glück nicht überstrapazieren.
Aber jetzt so kurz vor Alaska aufgeben? Das ist für uns
keine Option. Also müssen wir wieder schuften. Aber die Lage scheint dieses Mal
wirklich aussichtslos zu sein. Was wir auch tun, Josefine bewegte sich nicht
einen Millimeter.
Seit mehr als zwei Stunden versuchen wir das Floß durch
Hebeln irgendwie vorwärts zu bewegen. Unsere Kräfte sind am Ende und unsere
Zuversicht fast bei null. Bis zu den Hüften stehe ich im eiskalten Wasser des Yukon,
als ich plötzlich bis über die Knie im Treibsand versinke. Verzweifelt versuche
ich meine Füße herauszuziehen. Aber es gelingt mir nicht. Sie sind wie
einbetoniert. Panik will in mir aufkommen. Ich lasse mir nichts anmerken und
beruhige mich etwas. Was soll ich tun?
Raus aus den Stiefeln. Aber wie soll ich ohne Stiefel auf
der weiteren Reise klarkommen? Als ich im Begriff bin, meine Stiefel aufzugeben,
bemerkt Ralf meine missliche Lage und kommt mir zu Hilfe. Mit vereinten Kräften
gelingt es uns, mich inklusive Stiefel wieder aufs Floß zu ziehen.
Das war knapp. Wir gönnen uns nur eine kurze
Verschnaufpause, bevor die Plagerei weitergeht. Noch immer lässt sich Josefine nicht
bewegen.
Fast schon wollen wir resignieren. Wir versuchen es nochmals
mit vereinten Kräften. „Los geht’s, haut
rein was das Zeug hält!“ Wir mobilisieren allerletzte Kraftreserven. Und
sieh da. Das Unmögliche geschieht. Das tonnenschwere Floß ruckelt ein wenig
vorwärts. „Jetzt nur nicht nachlassen“
brüllt Ralf. Und wieder ruckelt das Floß. Zwar nur ein wenig, aber immerhin, es
tut sich was. Das bringt uns die Zuversicht zurück und motiviert uns nochmals,
alles zu geben.
Wieder und wieder setzen wir die Stangen schräg unterhalb
der äußeren Stämme an und drücken diese dann auf Komando „eins, zwei, drei und ruck“ nach vorne. Dies tun wir fast eine
Stunde, bis wir endlich wieder tieferes Wasser erreichen.
Da Josefine durch unser Körpergewicht einen stärkeren
Tiefgang hat, wagen wir zunächst nicht das Floß zu besteigen. So bleibt uns
nichts anderes übrig, als Josefine mit Tauen vom Ufer aus zu ziehen, bis wir
auf ausreichend tiefes Wasser und eine leichte Strömung stoßen.
Wir sind fix und fertig. Schaffen es aber noch irgendwo an Land zu gehen. Nach einem schnellen Abendessen kriechen wir todmüde und erschöpft in unsere Schlafsäcke.
Floßfahren ist ja so aufregend
Immer wieder wurde unsere Bordroutine jäh unterbrochen.
Meistens dann, wenn wir uns auf dem Sonnendeck lümmeln und den lieben Gott
einen guten Mann sein lassen. Keiner achtet dann auf irgendwelche Hindernisse
vor uns.
So passiert es immer wieder, dass wir irgendwo festhängen.
Einmal mehrere Minuten in 45 Grad Schräglage - wie in einem Stauwehr, welche
man auf kleinen Flüssen bei uns zu Hause häufig findet. Instinktiv springen wir
auf die Sitzbank und klammern uns an die Hütte. Wir können nichts weiter tun
als hoffen, dass es gut geht. Unser Gepäck wird überflutet und drohte
weggespült zu werden.
Doch so schnell wie er gekommen war, ist der Spuk auch
wieder vorbei. Wie von Geisterhand gepackt, wird Josefine mit einem kräftigen
Ruck aus ihrer misslichen Lage regelrecht herauskatapultiert. Der Ruck ist
dermaßen heftig, dass wir dabei fast über Bord gehen.
Nur wenig später der nächste Zwischenfall. Vor uns tut sich urplötzlich
ein riesiger Strudel auf und Josefine fährt genau mitten rein. Wie die
Klammeraffen hängen wir wieder an unserer Hütte. Für einen Moment hält uns der
Strudel in seinen Klauen gefangen, als könne er sich nicht entscheiden, ob er
uns in die Tiefe ziehen soll oder nicht.
Als er uns freigibt, atmen wir alle tief durch. „Ich hätte nie gedacht, dass Floßfahren so aufregend sein kann“ kommentierte
Andre die Situation.
Gestern hatten wir durch Unachtsamkeit ein Ruder eingebüßt. Irgendwie gelang es uns aber doch, an einer Insel anzulegen. Aus einer Birke und einer Planke vom Sonnendenk, zimmerten wir ein neues Ruder. Auf unserer Verlustliste stehen mittlerweile einige wichtige Gegenstände. Besonders schmerzhaft ist der Verlust einer Eisenstange, unseres geliebten Kaffeekessels, und ein Essbesteck.
Elche und Bären haben Vorfahrt
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Bohnen und Speck sind wir bereits früh auf dem Fluss unterwegs. Als wir gerade dabei sind, nach einer saukalten Nacht die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages zu genießen, tritt plötzlich ein riesiger Elch vor uns aus dem Uferdickicht.
Besuch von einem Elch
Zunächst hatte es den Anschein, als wolle er den Fluss noch vor unserem Floß durchschwimmen. Elche haben schließlich Vorfahrt, denn wir sind die Eindringlinge. Doch er überlegt es sich anders. Unser Floß scheint ihn zu irritieren. Er wartet ab, bis wir vorbei sind. Die ganze Zeit beäugt er uns misstrauisch und lässt uns nicht aus den Augen. Erst als er gut hundert Meter Abstand zu uns hat, steigt er behäbig ins Wasser, bis nur noch sein Kopf mit dem prächtigen Geweih zu sehen ist. Mit kräftigen Schwimmstößen überquert er zügig den Yukon, der an der Stelle etwas schmäler ist. Er hat die Stelle zum Überqueren also klug gewählt. Als er nach wenigen Minuten wieder aus dem Wasser steigt, verharrt er und schaut uns nach. Er lässt uns so lange nicht aus den Augen, bis wir aus seinem und er aus unserem Blickfeld entschwunden ist.
Nur kurze Zeit später taucht ein Grizzly am Ufer auf. Obwohl wir schon häufig auf Spuren von Grizzlybären gestoßen sind, bekommen wir heute zum ersten Mal ein Exemplar zu Gesicht. Gott sein Dank in respektabler Entfernung. Wir sind uns einig: Auf weitere Bärenbekanntschaften legen wir keinen Wert!
Kurz nach dem Grizzly trollt sich ein Schwarzbär am Ufer. Der interessiert sich aber nicht groß für uns. Solche Begegnungen mit der heimischen Fauna, sind unbeschreiblich schön und machen ein gutes Stück des Reizes einer solchen Reise aus.
Und schon wieder ein Bär
Am Abend folgt ein weiterer Höhepunkt: Nein - keine weitere Tierbegegnung. Ich gönne mir endlich mal wieder eine gründliche Ganzkörperwäsche. Ich fühle mich wie neugeboren.
Als ich zurück zum Floß komme, höre ich wie Andre wettert: „Ich glaube du tickst nicht ganz richtig, du kannst doch nicht einfach deine Stinksocken in unserem Kochtopf auskochen“. Mir war sofort klar, es konnte sich nur um Ralfs Socken handeln. Ich musste lachen, denn Ralf war sich keiner Schuld bewusst. Aber die Küche war nun mal Andres Heiligtum und offen gesagt, wochenlang getragene Wollsocken haben wirklich nichts in unserem einzigen Kochtopf verloren! Wirklich böse konnten wir ihm aber nicht sein. Im Gegenteil. Solche Schmunzelgeschichten steigern den Erlebniswert ungemein.
„Welcome to Alaska“ oder warum ganz Eagle über uns lacht
In Eagle/Alaska müssen wir unbedingt einklarieren, denn die
Amerikaner verstehen diesbezüglich keinen Spaß. Eagle liegt am linken Ufer. Auf
Höhe der Ortschaft teilt sich der Yukon in zwei Arme. Wir müssen unbedingt den
linken Flussarm erwischen – sonst wars das mit Eagle und der offiziellen
Einreise in die Staaten. Auf dem Fluss hat man dann keine Chance mehr Eagle zu
erreichen. Dort, wo die beiden Flussarme wieder zusammentreffen, ist man durch
die zum Yukon steil abfallenden Wände des Berges „Eagle Bluff“, von Eagle abgeschnitten.
Frühzeitig halten wir uns daher am linken Ufer. Alles
scheint problemlos. Doch genau in dem Moment, wo wir ihn überhaupt nicht
gebrauchen könne, kommt böiger Wind auf. Dieser drückt uns wieder Richtung
Strommitte. „Was für eine Scheisse.
Los… an die Ruder Männer.“ Wir Rudern, als ginge es um unser Leben. Doch
alle Anstrengung ist umsonst. Wenige Meter vor der Spitze der Insel wird das
Floß in einem eleganten Schwung von der Strömung in den rechten Flussarm
getragen. Wir haben wieder verloren. Es ist bitter ohne Ende!
Wie wir ein 2-Tonnen-Floß gegen die Strömung ziehen
Völlig ausgepumpt und entnervt lassen wir die Ruder sinken.
Wir schaffen es gerade noch am Ende der Insel, die uns von Eagle trennt,
anzulegen. Wir sind so dermaßen gefrustet! Eagle ist so nah und doch so fern! „Lasst uns das Floß auf der anderen Seite
der Insel gegen die Strömung bis zur Inselspitze ziehen und dann nach Eagle ans
andere Ufer übersetzen.“ „Du spinnst doch, leichter gesagt als getan!“.
Andres Vorschlag klingt verwegen und stößt bei Ralf und mir auf wenig
Gegenliebe. Wie soll das denn gehen?
Fragen wir uns und ihn.
Aber… haben wir eine andere Wahl? Nein. Es ist zumindest einen Versuch wert. Während Andre und ich das 2-Tonnen-Monstrum Meter für Meter gegen die Strömung ziehen, bleibt Ralf an Board, um das Floß mit der Abstoßstange vom Ufer wegzustoßen. Wir plagen uns wie zwei Ackergäule, müssen immer wieder verschnaufen. Sofort greift die Strömung nach dem Floß und will uns die gewonnenen Meter wieder streitig machen. Wir legen uns mit unserem gesamten Körpergewicht in das Seil mehrmals treten wir einfach auf der Stelle und gewinnen nicht einen Zentimeter. Die Anstrengung ist mörderisch. Andre schnauft neben mir: „Schau dir mal Ralf an. Der steht da auf seine Abstoßstange gestützt wie der heilige Christophorus und hat mal wieder den besten Job erwischt“! Wie Recht er hatte.
Wir verpassen Eagle
Nach eineinhalb Stunden Schinderei haben wir die Inselspitze erreicht. Jetzt gilt es! Unsere letzte Chance! Es bleiben uns ganze 300 Meter, um den gesamten linken Flussarm zu überqueren und das Ufer von Eagle zu erreichen. Na, wenn das mal gut geht!? Wir stoßen Josefine kräftig vom Ufer ab und rudern, als wäre der Teufel hinter uns her. Das Blut dröhnt in meinem Kopf. Jetzt nur nicht nachlassen! Aber es sollte nicht reichen! Alle Anstrengung ist umsonst! Entsetzt müssen wir zusehen, wie wir an Eagle vorbeitreiben. Erst hinter dem Eagle Bluff schaffen wir es anzulegen. Wir fluchen und schimpfen wie die Rohrspatzen. Durch die steil abfallenden Felswände ist uns der Landweg nach Eagle versperrt. Bliebe nur der Weg über den Berg. Allerdings kann sich, außer Ralf, niemand von uns so richtig dafür begeistern. Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt.
Selten haben wir uns auf unserer Reise so hilflos gefühlt. Wortlos schlagen wir unser Lager auf und machen Feuer. Anschließend diskutieren wir nochmal unsere Lage. Eine wirkliche Lösung fällt uns nicht ein und so beschließen wir, die Nacht hier zu bleiben. Morgen früh sehen wir vielleicht klarer. Wortkarg kriechen wir in unsere Schlafsäcke.
Ein ausgewanderter Bayer als unser Retter in der Not
Früh am Morgen vernehmen wir ein Motorengeräusch. Es nähert sich ein Boot und kommt geradewegs auf uns zu. Als er anlegt werden wir in breitestem Bayerisch gefragt: „Hoabt‘s a Problem?“ Der Skipper ist ein ausgewanderter Bayer, der gerade vom Fischen kommt. Mit wenigen Worten erläuterten wir ihm unsere Lage. Er aber scheint überhaupt nicht überrascht, gerade so, als hätte er alles mitangesehen. Jetzt dämmert es uns. Weil sich die gestrige Aktion ja direkt vor Eagle - quasi wie auf dem Präsentierteller - abgespielt hat, muss mindestens der halbe Ort unser klägliches Scheitern beobachtet haben. Und ich wette, man hat sich köstlich darüber amüsiert. Egal, da müssen wir jetzt durch, hauptsache wir sind „gerettet“ und können nun legal in die USA einreisen.
Als unser Helfer in der Not uns in Eagle absetzt, suchen wir umgehend den Officer für die Einreise auf. Der Formalitätenkram läuft ungewöhnlich entspannt, quasi auf der Straße ab. Alaska ist eben einfach lockerer als der Rest der Staaten.
Eagle soll uns primär als Versorgungsstation dienen. Weil wir hier auch unsere Biervorräte, die bedrohlich zur Neige gehen, auffüllen wollen, sind wir richtig gut drauf. Doch dann der Schock, denn man lässt uns wissen; „Eagle is a dry town“. Im Klartext bedeutet das: es gibt hier im Umkreis von 50 Meilen weder Bier noch sonstige alkoholischen Getränke zu kaufen. Wir wollen es erst nicht glauben und sind geschockt.
Jäger, Sandsturm und ein herrliches Weihnachtsgeschenk
Endlich sind wir wieder unterwegs auf dem Fluss. Der Yukon meint es gut mit uns. Heute haben wir den Seventy-Mile-River passiert. Am Abend laden uns zwei Jägern in ihr Camp ein. Ein großes Gemeinschaftszelt steht auf einem breiten, sandigen Uferstreifen. Nach einer netten Abendunterhaltung sind wir todmüde. Im Zelt halten wir es aber nicht lange aus, denn unsere beiden Jäger schnarchen wie die Weltmeister. Deshalb suchen wir unsere Ruhe unter freiem Himmel. Allerdings entpuppt sich auch das als ein Schuss in den Ofen. Der Grund dafür ist ein heftiger Sturm, der wegen des sandigen Bodens einem Sandsturm gleich kommt. Der Sand dringt in Augen, Ohren, Nase – einfach überall ein. Deswegen sehen wir morgens wie panierte Schnitzel aus!
Die letzten Tage auf dem Fluss. In der Nähe vom Coal Creek beziehen wir Quartier im Slaven‘s Roadhouse. Warum Roadhouse fragen wir uns, denn eine Straße gibt es hier allerdings nicht. Es handelt sich um eine gemütliche Hütte, die dem berühmten Hundeschlittenrennen „Yukon Quest“ als Zwischenstation dient. Weil die Haupthütte von einheimischen Jägern belegt ist, bleibt für uns nur die wesentlich kleinere Nebenhütte.
Als es abends an der Tür klopft und ich öffne, steht einer der Jäger mit einem Revolver in der Hand vor mir. Ich erschrecke mich fast zu Tode. Dies scheint er zu bemerken, denn er lässt umgehend ide Hand mit dem Revolver sinken und entschuldigt sich bei mir. Den Revolver habe er nur, um für die Begegnung mit einem Bär gewappnet zu sein. Deswegen ist er entsetzt, als wir ihm sagen, dass wir bereits Wochen ohne Waffe auf dem Yukon unterwegs sind. „You guys must be crazy, lots of bears around here.“
Warum er hier ist sagt er uns dann. Es folgt eine Einladung zum Abendessen, über die wir uns riesig freuen. Und das nicht ganz uneigennützig, schließlich spekulieren wir auf ein kühles Bier und saftige Elchsteaks.
Leider wird daraus nichts, denn statt Steaks gibt es Dosenfleich und zu dritt müssen wir uns zwei Dosen Bier teilen. Dennoch ist das ein feiner Zug von ihnen, denn es sind ihre letzten Biervorräte, die sie brüderlich mit uns teilen. Es wird ein lustiger und unterhaltsamer Abend. Spannende Anekdoten, wohl auch gespickt mit etwas Jägerlatein, machen die Runde. Allerdings werde die Vier nicht müde, uns für verrückt zu erklären. Die Tatsache, dass wir ohne Waffe viele Wochen in der Wildnis unterwegs sind, können sie einfach nicht begreifen.
Als die Jäger am nächsten Tag abreisen, haben sie eine noch eine tolle Überraschung für uns parat. Auf einem Tisch in der Hütte haben sie ihren restlichen Proviant aufgebaut. Und vor diesem steht auf einem Stück Pappe geschrieben: „Merry Christmas – your hunters“. Wir sind gerührt. Nach der langen Einsamkeit auf dem Fluss wirkt diese "Extra-Dosis Menschlichkeit" besonders intensiv.
Drei Eifelaner im Goldrausch am Yukon
Einer der Jäger hatte uns erzählt, dass ein Goldsucher vor ein paar Jahren ganz hier in der Nähe einen walnussgroßen Goldnugget gefunden hat. Mit dem Resultat, dass wir jetzt vom Fieber – vom Goldfieber gepackt sind. Es war der Startschuss für unseren kurzen, aber heftigen Goldrausch am Yukon. Für diesen Zweck hatten wir uns bereits in Whitehorse Goldwaschpfannen gekauft und die sollten nun endlich zum Einsatz kommen.
In der Nähe der alten Gold Dredge versuchen wir unser Glück. Schnell bemerkten wir, Goldwaschen mit der Pfanne bedarf einiger Übung. Und die fehlte uns. Sollte in dem Sand, welchen wir in unseren Pfannen hin und her wirbeln tatsächlich Goldstaub sein, so befördern wir diese ganz sicher mit dem Sand immer wieder aus der Pfanne. Obwohl wir uns nicht wirklich geschickt anstellen, haben wir unseren Spaß dabei. So fühlt sich also echtes Goldfieber an.
Jetzt kann ich noch besser nachvollziehen, wie sich der Goldrausch am Yukon damals vor hundert Jahren für die Goldsucher angefühlt haben muss.
Eifler Goldrausch am Yukon
Andres Bemühungen, Gold zu waschen arten schon bald in eine Matscherei aus. Ralf geht die Sache etwas ruhiger an und pickt akribisch nach jedem glitzernden Körnchen, das nur irgendwie nach Gold aussieht.
Immer wieder wird die Stille durch unsere lauten Jubelrufe "Gold, Gold, ich hab Gold gefunden" oder "Jungs..wir sind reich" unterbrochen. Meist rasch gefolgt von einem Ausruf der Enttäuschung "Scheiße, schon wieder nur Katzengold."
So geht das eine ganze Weile weiter, bis wir dann doch irgendwann die Lust verlieren. Sollte halt nicht sein, mit dem schnellen Reichtum.
Als wir dann wieder auf dem Fluss unterwegs sind, versuchen wir immer mal wieder unser Glück als Goldwäscher. Leider immer ohne Erfolg. Es soll einfach nicht sein mit dem großen Goldfund. Das ist für uns völlig ok, denn wir hatten ihn dennoch - unseren ganz persönlichen Goldrausch am Yukon.
Das dicke Ende oder „Lost in the Flats“
Wir genießen unsere letzten Tage auf dem Fluss nicht mehr so wirklich. Seit Tagen schon weht ein eisiger Nordwind und der anfängliche Regen geht in Schnee über. Es wird allmählich Winter in Alaska. Immer häufiger sehen wir Kanadagänse, die ihren Weg nach Süden nehmen.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum es Zeit wird, das Ziel unserer Reise bald zu erreichen. Josefine schwächelt. Will bedeuten, das Floß liegt verdammt tief im Wasser und wird immer öfter von Wellen überspült. Die Stämme haben sich mit der Zeit immer mehr mit Wasser vollgesogen. Ein ganz natürlicher Prozess. Ein Floß hält eben nicht ewig.
Das bedeutet aber auch für uns, dass wir nicht mehr alle Mann auf einer Seite des Floßes stehen können, denn dann stehen wir bis zum Rand unserer Stiefel im Wasser. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als das Ladegewicht zu reduzieren. So trennen wir uns von unserem Ofen, der uns treue Dienste geleistet hat und auch unser letzter Brennholzvorrat geht schweren Herzens über Board.
Es wird einfach Zeit, dass wir ankommen!
Dieser ist hier merklich breiter und teilt sich in zahlreiche Arme. Der Beginn der berühmt berüchtigten Yukon Flats. Die bestehen aus einem unübersichtlichen Gewirr von Flussarmen und unzähligen Inseln. Und die ziehen sich über hunderte Kilometer, an manchen Stellen bis zu 300 Kilometer breit. So manchem Flussfahrer wurden die Flats zum Verhängnis. Unser Endziel Circle City liegt aber Gott sei Dank noch am Anfang der Flats
Womit wir deshalb auch überhaupt nicht mehr gerechnet haben ist, dass wir am Ende unserer Reise nochmals in arge Nöte geraten würden. Der Grund dafür ist der Umstand, dass wir komplett die Orientierung verloren haben. Wir wissen weder genau, wo wir sind, noch wo wir lang müssen, um Circle City zu erreichen. Was passiert, wenn wir Circle verfehlen, daran will keiner von uns auch nur denken. Dann wären wir „lost in the Flats!“
In dem Gewirr der verzweigten Flussarme können wir unsere Position in unserer Flußbeschreibung einfach nicht finden. Dieser können wir hier absolut nicht mehr vertrauen, denn der Yukon verändert ständig seinen Lauf. Wie sollen wir in diesem Labyrinth je nach Circle finden?
Nun, ich mache es kurz, auch hier kommt uns der glückliche Zufall zu Hilfe. Mit hoher Geschwindigkeit nähert sich ein Boot und legt seitlich am Floß an. „Guys, you are wrong“. Mit wenigen Worten erklärt uns der Fahrer den richtigen Weg. Unglaublich, welches Glück wir auch diesmal wieder haben. Bald schon tauchen in der Ferne die Häuser von Circle City auf. Wir haben unser Endziel erreicht.
Schluss, Aus, Ende
Unser Abenteuer ist vorbei. Selbst die schönste Reise geht irgendwann einmal zu Ende. Und das muss sie auch, denn wie sonst sollte man den Daheimgebliebenen die unzähligen abenteuerlichen Geschichten, die man erlebt hat, erzählen. Eigentlich kann man die gar nicht erzählen. Und der Grund dafür ist: Man muss sie einfach selbst erleben.
Auch ohne Goldfund kehren wir reich nach Hause zurück. Reich an abenteuerlichen Erlebnissen, die mehr wert sind, als alles Gold dieser Welt. Echte Abenteuer eben! Und die wirken bis in alle Ewigkeit.
Abschied von Josefine
Nochmals werfen wir einen letzten wehmütigen Blick auf
unsere abgetakelte Josefine, die uns in den letzten 8 Wochen zum geliebten
Zuhause wurde. Unsere Komfortzone sozusagen. Mit ihr lassen wir eine
wunderschöne gemeinsame Zeit zurück – eine Zeit voller Abenteuer. Noch oft
werden wir an die Tage auf dem Floß und die langen Abende am Lagerfeuer
zurückdenken. 3 Tage später steigen wir in den kleinen Postflieger, der uns
nach Fairbanks bringt.
Die Wüste Gobi gehört zu den unwirtlichsten Landstrichen dieser Erde. Schon als Kind habe ich Sven Hedins “Durch Asiens Wüsten” regelrecht verschlungen. Für mich stand bereits damals fest: irgendwann werde auch ich durch die Wüste Gobi gehen. Dass es dann gleich ein Lauf werden sollte, habe ich damals noch nicht geahnt. Doch jetzt 2014, war
Zu Fuß durch die trockenste Wüste der Erde, die Atacama Wüste in Chile. Und dass auch noch alleine, ohne jegliche Unterstützung von außen. Ich muss zugeben, mein Vorhaben klang verwegen. Aber genau so sollte mein neues Wüstenprojekt aussehen. Was ich beim Start allenfalls ahnte, auch diese Expedition sollte eine Tour zwischen Genuss und Tortur werden.