März 13

Deutschlandlauf: Von Sylt nach Oberstdorf „by fair means“

Der Deutschlandlauf sollte „mein ultimatives Abenteuer“ direkt vor der eigenen Haustür. Das Vorhaben konkret: Deutschland vom nördlichsten zum südlichsten Punkt ohne Unterstützung von außen, möglichst schnell zu durchqueren. Es sollte kein Survivaltrip a la Rüdiger Nehberg werden, sondern ich wollte laufen und dabei meine gesamte Ausrüstung und Verpflegung auf einem umgebauten Fahrradanhänger hinter mir herziehen. Zum Übernachten wollte ich mich immer in irgendwelche Büsche schlagen, um mein Mini Zelt aufzubauen.

Oberstdorf liegt am anderen Ende der Welt

Zumindest kam mir das so vor, als ich am Ellenbogen auf Sylt, dem nördlichsten Zipfel der Republik, stand. Hier oben auf Sylt waren die Berge so weit weg, dass ich mein Ziel kaum gedanklich fassen konnte. Ich hatte mächtig Respekt vor der Strecke, die vor mir lag. Gut 950 km hatte ich eingeplant. Doch aufgrund diverser unfreiwilliger Extratouren, sollten es am Ende etwas mehr als 1000km werden. Ich wusste von meinen anderen Abenteuern, dass trotz intensiver Vorbereitung und sorgfältiger Planung, einiges anders als geplant kommen würde. Und ich sollte Recht behalten.

Mieses Wetter + nerviger Elmar = miese Laune?

Da es im Norden der Republik herrlich flach ist, kam ich gut voran. Zwar lief ich langsam, aber beständig. Zwei Umstände machten mir jedoch von Beginn an bei meinem Deutschlandlauf das Leben schwer.  Elmar, so hatte ich meinen Laufanhänger getauft und das regnerische und stürmische Wetter. Beide schienen sich gegen mich verbündet zu haben.

Elmar brachte es auf satte 25 kg. Ich hatte ständig das Gefühl, dass mich jemand von hinten festhält. Ein weiteres Problem war, dass sich Elmar manchmal regelrecht aufschaukelte. Als umgebauter Fahrradanhänger, hatte er zwei Räder. Der Dritte Fixpunkt war die Befestigung des Zuggestänges an meinem Zug-Gurt und die war ja flexibel. So ruckelte und zog Elmar ständig an mir rum. Wie ich das bis Oberstdorf aushalten sollte, war mir schleierhaft. Zwar hatte ich alles zu Hause ausprobiert, doch irgendwie schien jetzt, wenn es drauf ankam, alles anders. Aber ich fand eine Lösung.

Warum der „Leidensmodus“ so wichtig ist

Für Anfang Mai war das Wetter einfach saumäßig. Es war kalt, regnerisch und stürmisch. So baute ich mein Zelt am ersten Abend im strömenden Regen, in der Nähe eines Bauernhofs, auf. Den Bauern hatte ich sicherheitshalber gefragt. Ich wollte mir nicht schon am Anfang den Zorn meiner zivilisierten Mitmenschen zuziehen.  Am nächsten Tag wurde es noch übler. Es goss in Strömen. Dann brach auch noch einer meiner Laufstöcke. Zwar gelang es mir, diesen notdürftig zu reparieren, aber es war eine weitere Komforteinbuße.

Vom Hadern und Jammern

Ich haderte die ersten Tage gewaltig mit den Umständen. Wäre ich doch besser im April los. Der war sonnig und warm. Ich wusste, wenn das so weiter geht mit dem Jammern, dann schaffe ich es nie bis Oberstdorf. Höchste Zeit auf meine altbewährten mentalen Kräfte zu vertrauen. So überließ ich meine Gedanken nicht mehr länger dem Zufall, sondern griff auf bewährte Formen der Mentalarbeit zurück.

Warum es geil ist, wenn man wie eine Maschine funktionieren kann

Trotz Regenbekleidung wurde ich tagsüber total durchnässt. Den einzigen halbwegs trockenen Platz, bot mein Schlafsack.  Trotzdem kroch ich wie ferngesteuert jeden Morgen pünktlich aus dem Schlafsack, nachdem ich meine allmorgendliche Frühstücksroutine beendet hatte. Ohne zu murren schlüpfte ich in meine nassen Klamotten, packte dem immer gleichen Muster folgend meine Sachen zusammen und lief einfach los. Selbst der Vorschlag meines „Teufelchens“, bei dem Sauwetter noch eine Stunde länger im Schlafsack zu genießen, hatte nie eine Chance.

Obwohl ich zu Hause gerne auch mal „Fünfe gerade sein lasse“, funktioniere ich auf so einer Tour wie eine Maschine. Fast erschreckend wie gut mir das gelingt. Ich schalte dann in den „Leidensmodus“. Ohne über mein Tun groß nachzudenken, folge ich meinen Regeln. Würde ich diese immer wieder zur Disposition stellen, könnte ich gleich aufgeben. Ich mache solche Projekte ganz alleine für mich. Ich muss anderen nichts beweisen. Folge also ganz meinen Regeln.

Auch die Fähigkeit, Unangenehmes auszuhalten, habe ich mir über die Jahre antrainiert. Ich hadere dann nicht mehr. Allenfalls kurz. Kann ich es nicht ändern, muss ich es integrieren. Ich nehme es dann so an, wie es ist. Kann ich es verändern, suche ich schnell nach einer Lösung für die veränderte Situation. Die findet sich meist. Ich weiß, dass das alles zum „Gesamtpaket“ dazu gehört. In mir ist eine tiefe Zuversicht, dass mich das alles meinem Ziel wieder ein Stück näherbringen wird.


Die Welt geht immer wieder unter und die Sonne immer wieder auf

Unterwegs hatte ich immer wieder mit zusätzlichen Herausforderungen zu kämpfen. Mal war es ein Laufstockbruch, dann ein Totalausfall des GPS, ein verlorenes Handyladekabel oder das im letzten Camp vergessene Zeltgestänge. Außerdem war mein rechtes Knie fast auf doppelte Größe angeschwollen und der linke Oberschenkelmuskel schmerzte Gewaltig.

Warum ich Göttingen nicht mag

Alle Göttinger mögen es mir verzeihen. Aber ich hasste Göttingen auf meinem Deutschlandlauf. Warum ich das tue? Göttingen sollte ein Höhepunkt meines Deutschlandlaufs werden. Es lag fast auf halber Strecke. Daher hatte ich dort eine Art Bergfest geplant. Doch Göttingen wurde für mich zum emotionalen Desaster. Ausfall meines GPS und wolkenbruchartiger Regen. Nichts mit Bergfest, ganz zu schweigen vom Genuss des Rotweinpulvers, welches ich zum Begießen der Halbzeit eingepackt hatte. War Göttingen für mich als Halbzeitmarker bis dato Ziel meiner Sehnsüchte gewesen, so kehrte sich das jetzt ins absolute Gegenteil. Ich verfluchte Göttingen. Ich war an einem emotionalen Tiefpunkt meines Deutschlandlaufs angelangt. Ich stellte mein Tun gänzlich in Frage und spielte mit dem Gedanken aufzugeben.

Zusammenspiel von Routine und Flexibilität

Jedes Mal, wenn mich irgendetwas aus meiner gewohnten Routine brachte, war das zunächst wie ein kleiner Weltuntergang. Aber der Erfolg eines solchen Vorhabens – wie bei allen Expeditionen – liegt darin, auf das unvorhergesehene flexibel zu reagieren und schnell eine Lösung zu finden. Das gehört dazu, macht einen Teil des Reizes aus. Die Routine hat auf einem solchen Trip eine wichtige Funktion. Sie gibt Sicherheit und lässt dich die Selbstdisziplin wahren. Ein stören der Routine ist daher immer Verlust von Sicherheit und Vertrautem. Das schmerzt einfach erst einmal.

Ich habe gelernt mit diesen Unwägbarkeiten umzugehen. Gehe nach kurzem Hadern sofort in den Problemlösungsmodus. Es findet sich immer irgendeine Lösung, denn die Alternative wäre Aufgeben. Ist das Problem im Griff, wird es zur neuen Routine.

Auch auf meinem Deutschlandlauf kam ich daher, trotz vieler unvorhergesehener Zwischenfälle, gut voran. Ich schaffte fast immer mein geplantes tägliches Pensum. Konnte mein Zelt meist an der geplanten Stelle aufstellen. Obwohl es gar nicht so leicht war, dabei außerhalb der Sichtweite anderer Menschen zu bleiben. In der Wüste ist das einfacher!

Der Genuss des Wegs

Trotz aller Leiden, oder gerade auch wegen den Widrigkeiten, die so eine Tour zwangsläufig mit sich bring, liebe ich das Unterwegssein. Ich lebte von Tag zu Tag. Freute mich schon morgens auf das königliche, gefriergetrocknete Abendmenü. So alle 4 Tage hatte ich mir einen Meilenstein gesetzt. Z.B. die Überfahrt auf der Alster, dann Hannover, Göttingen, der Mainübergang bei Kitzingen. Riesig freute ich mich auf die Überquerung der A8 Stuttgart-München, war sie für mich doch das eigentliche Tor zum Süden. Auch auf von den vielen Autofahrten nach Oberstdorf, war mir diese Region bereits sehr vertraut. Ich genoss es dermaßen, durch dieses wunderschöne Land zu laufen.

Die Magie des Ziels

Ich kam mir vor wie eine Schnecke, obwohl ich exakt im Zeitplan lag. Dann endlich, nach 17 Tagen konnte ich in der Ferne die Alpen im Dunst erkennen. Die Glücksgefühle in diesem Moment, als ich den Grünten, den Wächter des Allgäus, erblickte, kann ich mit Worten nicht beschreiben. Mein Ziel Oberstdorf hat für mich eine besondere Bedeutung. Ich habe dort geheiratet, unzählige Kurzurlaube verbracht und meinen schwersten Unfall, einen Skiunfall mit Oberschenkelhalsfraktur, dort erlebt. Diese starke emotionale Bindung an mein Ziel Oberstdorf half mir über viele Momente der Selbstzweifel und des Leidens hinweg.

Am 24. Mai 2014 erreichte ich mein ersehntes Ziel. Ich war in Oberstdorf angekommen. Ich habe die Strecke von 1023 in nur 19 Tagen geschafft. Die letzten 10km zum Ende des Rappachtals waren nur noch eine Zugabe und hatten keine Bedeutung mehr für mich.

Deutschland mal anders

Nach einem solchen extremen Erlebnis muss ich alles erst einmal sacken lassen. Es fällt mir schwer darüber zu reden. So viele Erlebnisse, die für mich eine immens wichtige Bedeutung haben. Menschen, die ähnliches nie erlebt haben, können das kaum nachvollziehen.

Was mich bei meinem Deutschlandlauf neben der sportlichen Herausforderung am meisten beeindruckt hat, war die Möglichkeit, unser Land einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu erleben.

Begegnungen mit Menschen

Ich hatte mich für knapp drei Wochen sozusagen aus der zivilisierten Gesellschaft ausgeklinkt. Versorgte mich autonom, zapfte Wasser auf Friedhöfen, sah nach wenigen Tagen ungepflegt aus und würde einen Geruchstest sicher auch nicht mehr bestehen.

Viele Menschen begegneten mir daher mit argwöhnischen Blicken oder schauten gar weg. Und trotzdem gab es doch so viele tolle Begegnungen und Gespräche mit den Menschen entlang meiner Route. Da gab es, den Radfahrer, der extra umdrehte, um mich ein paar Kilometer zu begleiten. Da waren die Kinder, die mir lachend ein „Love and Peace Alter“ zuriefen, die Menschen, die mich mit Wasser versorgten, die mich zum Essen einladen wollten, die mir den richtigen Weg zeigten.

Der Reiz unterschiedlicher Regionen

Deutschland ist ein wunderschönes Land. Es war einfach faszinierend, den Wechsel der landschaftlichen Höhepunkte und Besonderheiten zu erleben. Sylt mit seinen einzigartigen Dünenlandschaften, das platte Land Nordfrieslands mit seinen großen Gehöften, die Großstadt Hamburg als Kontrast, die Lüneburger Heide, die Gedenkstädte Bergen-Belsen, der Beginn der Mittelgebirge hinter Hildesheim, das waldreiche Thüringen, entlang des Mains, das mittelalterliche Dinkelsbühl, die schwäbische Alb, das Allgäu, die Berge.

Deutschland so erleben zu dürfen ist ein unbeschreibliches Privileg. Es bereichert mein Leben für immer!


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